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URL: http://www.deloitte-tax-news.de/steuern/unternehmensteuer/bfh-bverfg-vorlage-zur-verfassungsmaessigkeit-der-mindestbesteuerung-bei-definitiveffekt.html
05.09.2014
Unternehmensteuer

BFH: BVerfG-Vorlage zur Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung bei Definitiveffekt

Der BFH hat die Mindestbesteuerung grundsätzlich als verfassungskonform beurteilt (Urteil vom 22.08.2012). Er geht nun aber in dem Fall von ihrer Verfassungswidrigkeit aus, dass ein sog. Definitiveffekt eintritt, also eine Verlustverrechnung endgültig ausscheidet. Daher hat der BFH das BVerfG zur Verfassungsprüfung angerufen.

Sachverhalt

Der Kläger war Insolvenzverwalter der B-GmbH. Im Jahresabschluss zum 31.12.2004 schrieb die B-GmbH eine ihr zustehende Forderung vollständig ab, wodurch sich ein erheblicher Verlust ergab, der vorgetragen wurde. Im Jahresabschluss zum 31.12.2006 wurde die Abschreibung infolge Wertberichtigung rückgängig gemacht, was zu einem erheblichen Gewinn führte.

Das Finanzamt berücksichtigte bei der Verlustverrechnung die sog. Mindestbesteuerung, wodurch es im Gewinnjahr nicht zu einer vollständigen Verrechnung des Verlustes kam. Zwischenzeitlich war die B-GmbH insolvent geworden, so dass sich der nicht ausgeglichene Verlust steuerlich auch in der Folgezeit nicht mehr auswirken konnte.

Entscheidung

Das Verfahren sei auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob die Regelungen der sog. Mindestbesteuerung (§ 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 10d Abs. 2 S. 1 EStG und § 10a S. 2 GewStG) verfassungswidrig seien (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG), soweit aufgrund eines endgültigen Ausschlusses der Verlustverrechnung ein sog. Definitiveffekt eintritt.

Das Finanzamt habe die Mindestbesteuerung rechtsfehlerfrei angewendet.

Aus Art. 3 Abs. 1 GG ließen sich zwei Gebote für den Gesetzgeber ableiten: Die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Steuersubjekts als auch das Gebot, dieses Prinzip folgerichtig umzusetzen. Das objektive Nettoprinzip gebiete einen Ausgleich zwischen den besteuerbaren Einnahmen und den dafür aufgewendeten Ausgaben. Die Mindestbesteuerung beschränke den periodenübergreifenden Verlustausgleich nur der Höhe nach, führe aber nicht zum endgültigen Verlust der Verluste, so die Begründung zum Regierungsentwurf des § 10d Abs. 2 EStG 2002 n.F. (BT-Drs. 15/1518, S. 13). Der BFH habe, sofern der Verlustausgleich lediglich gestreckt und nicht versagt wird, grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Zweifel an der Mindestbesteuerung (vgl. BFH-Urteil vom 22.08.2012). Der Gesetzgeber bewege sich mit der Mindestbesteuerung in ihrer Grundkonzeption grundsätzlich im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes. Allerdings dürfe die Abzugsfähigkeit von Verlusten nicht in ihrem Kernbereich betroffen oder gänzlich ausgeschlossen sein (BFH-Beschluss vom 26.08.2010). Diesem Maßstab werde die Regelung zur Mindestbesteuerung nicht gerecht, wenn Definitiveffekt eintrete.

Führe die Mindestbesteuerung gänzlich zum Ausschluss des Verlustabzugs, ergebe sich eine leistungsfähigkeitswidrige Substanzbesteuerung (BFH-Beschluss vom 26.08.2010) – wie im Streitfall. Aufwand und Ertrag hätten vorliegend denselben Rechtsgrund und entsprächen sich der Höhe nach. Sie seien nur zeitlich verschoben. So führe die Mindestbesteuerung zur Besteuerung eines per Saldo nicht erzielten Gewinns.

Dieser Verstoß könne nicht durch Typisierungs- oder Vereinfachungserfordernisse gerechtfertigt werden, da der Gesetzgeber eine Differenzierung nach Verlustursachen bzw. nach Zusammenhängen mit der Gewinnentstehung vollständig unterlassen habe. Auch eine (intendierte) Verhinderung von Missbräuchen oder Begrenzung von übermäßiger Subventionsinanspruchnahme komme als Rechtfertigung nicht in Betracht.

Dies gelte – entgegen der Ansicht des IV. Senats (BFH-Urteil vom 20.09.2012) – auch für die Verlustnutzung für Zwecke der Gewerbesteuer gem. § 10a S. 2 GewStG.

Die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen gem. der §§ 163, 227 AO könne diese verfassungsrechtliche Wertung nicht beeinflussen. Auch sei eine verfassungskonforme Auslegung nicht möglich, da die Auslegung einer Norm ihre Grenze im Wortlaut finde und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht widersprechen dürfe.

Nach alledem gehe der BFH von der Verfassungswidrigkeit von § 10d Abs. 2 S. 1 EStG und § 10a S. 2 GewStG beim Eintreten sog. Definitiveffekte aus.

Betroffene Normen

Art. 3 Abs. 1 GG, § 10d Abs. 2 S. 1 EStG 2002 n.F., § 10a S. 2 GewStG 2002 n.F.
Streitjahre 2006 bis 2008

Anmerkungen

BFH-Urteil vom 21.09.2016 zu Billigkeit bei Mindestbesteuerung aufgrund von Buchgewinnen
Mit Urteil vom 21.09.2016, I R 65/14 NV (siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH entschieden, dass die ausgelösten Folgen der Mindestbesteuerung auch im Falle von bloßen Buchgewinnen (steuerwirksame Teilwertaufholung nach einer steuerwirksam vorgenommenen Teilwertabschreibung) keinen Grund für eine abweichende Steuerfestsetzung im Billigkeitsverfahren darstellen.

BVerwG zu Billigkeitserlass
Das BVerwG hat nun – anders als der BFH – mit Urteil vom 19.02.2015 (siehe Pressemitteilung ) entschieden, dass wegen des endgültigen Wegfalls des Verlustvortrags nach § 10a GewStG kein Billigkeitserlass der Gewerbesteuer zu gewähren sei. Der Gesetzgeber habe bei der Einführung der Mindestbesteuerung das Problem etwaiger Definitivverluste bewusst in Kauf genommen und auf Ausnahmeregelungen verzichtet. Ob die Mindestbesteuerung in ihrer gegenwärtigen Form verfassungsgemäß ist, ließ das Bundesverwaltungsgericht offen.

FG Düsseldorf vom 02.09.2014 zu Billigkeitserlass
Im Gegensatz zu dem Beschluss des BFH vom 26.02.2014 hat das FG Düsseldorf keinen Ausschluss des Billigkeitsverfahrens angenommen, jedenfalls in dem Fall nicht, in dem nach einer steuerwirksam vorgenommenen Teilwertabschreibung eine steuerwirksame Teilwertaufholung erfolgt und die dadurch ausgelösten Folgen der Mindestbesteuerung eine leistungswidrige Substanzbesteuerung bewirken.

BFH-Urteil vom 17.12.2014: Kein Vorläufigkeitsvermerk bei Mindestbesteuerung wegen abstrakter Möglichkeit von Definitiveffekten
Die abstrakte Möglichkeit, dass in späteren Veranlagungszeiträumen Ereignisse eintreten, die als sog. Definitiveffekte in Bezug auf die Mindestbesteuerung auf den Veranlagungszeitraum zurückwirken könnten, rechtfertigt keinen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 AO.

Vorinstanz

Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.04.2012, 12 K 12179/09, 12 K 12177/10

Fundstellen

BFH, Beschluss vom 26.02.2014, I R 59/12,  BStBl II 2014, S. 1016, BVerfG-anhängig: 2 BvL 19/14
teilweise inhaltsgleich:
BFH, Urteil vom 26.02.2014, I R 12/14
Pressemitteilung Nr. 62 vom 03.09.2014

Weitere Fundstellen

BFH, Urteil vom 21.09.2016, I R 65/14 NV, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 17.12.2014, I R 32/13, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 22.08.2012, I R 9/11, BStBl. II 2013, S. 512, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 20.09.2012, IV R 36/10, BStBl. II 2013, S. 498, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 26.08.2010, I B 49/10, BStBl. II 2011, S. 826,siehe Deloitte Tax-News 
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 02.09.2014, 6 K 3370/09 K,AO, siehe Deloitte Tax-News

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