BFH: Steuerschuldner und finanzielle Eingliederung im Rahmen der umsatzsteuerlichen Organschaft
Der BFH hat mit zwei die umsatzsteuerliche Organschaft betreffenden Entscheidungen zum einen seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung geändert und zum anderen ein neues Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet.
Hintergrund
Der EuGH stellte mit Urteilen vom 01.12.2022 in den Rechtssachen C-141/20 und C-269/20 fest, dass die umsatzsteuerliche Organschaft in Deutschland mit dem EU-Recht vereinbar ist (siehe dazu Deloitte Tax-News sowie Deloitte Tax-News). Der Organträger kann, muss aber nicht, einziger Steuerpflichtiger der Gruppe sein. Wesentlich ist, dass er in der Lage ist, seinen Willen bei den anderen Mitgliedern der Gruppe durchzusetzen und seine Bestimmung als Steuerpflichtiger nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führt. Da sich die Finanzbehörde nach § 73 AO auch an die Organgesellschaften als Haftungsschuldner halten kann, besteht keine Gefahr von Steuerverlusten. Der Organträger kann daher einziger Steuerpflichtiger sein. Das nationale Recht, das in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG den Organträger zum Steuerschuldner bestimmt, steht insoweit nicht im Widerspruch zum Unionsrecht. Daneben setzte sich der EuGH mit dem Erfordernis der finanziellen Eingliederung auseinander und machte deutlich, dass die Rechtsauffassung der Verwaltung in Abschn. 2.8. Abs. 5 S. 2 UStAE nicht mit der Auslegung des EuGH im Einklang steht. Nach Ansicht des EuGH ist das Merkmal der finanziellen Eingliederung nicht restriktiv auszulegen. Nur dann, wenn das Erfordernis der Stimmenmehrheit erforderlich und geeignet ist, Missbrauch zu vermeiden, darf es als Voraussetzung der Organschaft verlangt werden. Im Urteil C-269/20 setzte sich der EuGH außerdem mit der Frage der Wertabgabenbesteuerung bei Leistungen in den hoheitlichen Bereich einer juristischen Person des öffentlichen Rechts auseinander.
Eine rege Diskussion entstand hingegen aufgrund der Ausführungen des EuGH zur Selbständigkeit von Organgesellschaften. Nach bisherigem Verständnis unterliegen die Umsätze zwischen den Mitgliedern einer Organschaft nicht der Umsatzsteuer, da die Organgesellschaft als unselbständiger Teil im Gesamtunternehmen des übergeordneten Organträgers angesehen wird. Aufgrund der Ausführungen des EuGH ist allerdings zweifelhaft, ob diese bereits vom Reichsfinanzhof begründete Rechtsprechung beibehalten werden kann. Die Nachfolge-Entscheidungen des BFH waren daher mit Spannung erwartet worden.
Organträger als Steuerschuldner
In seinen Entscheidungsgründen folgt der BFH dem EuGH. Mit Urteil vom 18.01.2023, XI R 29/22 (Sachverhalt siehe Deloitte Tax-News) sieht der BFH die sich aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 des UStG ergebende Steuerschuldnerschaft des Organträgers für die Umsätze der Organschaft entgegen früheren Zweifeln weiterhin als unionsrechtskonform an. Die vom EuGH hierfür genannten Bedingungen (Willensdurchsetzung und keine Gefahr von Steuerausfällen) werden gewährleistet, da der BFH schon bisher die Möglichkeit der Willensdurchsetzung verlangt und die Organgesellschaft nach § 73 der Abgabenordnung für die Umsatzsteuer des Organträgers haftet.
Finanzielle Eingliederung – Änderung der Rechtsprechung
Im Hinblick auf das Kriterium der Willensdurchsetzung ändert der BFH allerdings seine Rechtsprechung zur finanziellen Eingliederung. Für das Bestehen einer Organschaft ist zwar weiter im Grundsatz erforderlich, dass dem Organträger die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zusteht. Die finanzielle Eingliederung liegt nunmehr aber auch dann vor, wenn der Gesellschafter zwar über nur 50 % der Stimmrechte verfügt, die erforderliche Willensdurchsetzung bei der Organgesellschaft aber dadurch gesichert ist, dass er eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital der Organgesellschaft hält und er den einzigen Geschäftsführer der Organgesellschaft stellt.
Nichtsteuerbarkeit von Innenumsätzen – erneute Vorlagefrage an den EuGH
Mit Beschluss vom 26.01.2023 – V R 20/22 (V R 40/19; siehe Deloitte Tax-News) soll geklärt werden, ob an der bisherigen Annahme der Nichtsteuerbarkeit sog. Innenumsätze weiter festzuhalten ist. Es handelt sich um das bereits zweite Vorabentscheidungsersuchen in dieser Sache, bei dem es nunmehr um eine Frage geht, die aufgrund der ersten Entscheidung des EuGH in diesem Verfahren zweifelhaft geworden ist. Denn der EuGH sieht die Organgesellschaft als selbständig an. Nach der EuGH-Rechtsprechung darf die Organschaft jedenfalls nicht zur Gefahr von Steuerverlusten führen. Letzteres könnte aber zu bejahen sein, wenn der die Leistung von der Organgesellschaft beziehende Organträger, wie im konkreten Streitfall, nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Sollte der EuGH entscheiden, dass Innenumsätze entgegen der ständigen BFH-Rechtsprechung steuerbar sind, hätte dies weitreichende Folgen. Umsatzsteuerrechtlich dient die Organschaft als Gestaltungsinstrument für Unternehmer, die nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind (z.B. Banken und Versicherungen, Unternehmer im Gesundheits- und Sozialwesen und im Bildungsbereich sowie Vermieter von Wohnungen). Nichtabziehbare Vorsteuerbeträge lassen sich bislang für derartige Unternehmen dadurch vermeiden, dass sie mit Dienstleistern Organschaften begründen, so dass die bezogenen Leistungen nicht steuerbar sind.
Betroffene Normen
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG; Art. 11 MwStSystRL; § 3 Abs. 9a Nr.2 UStG; Art. 26 MwStSystRL
Fundstellen
BFH, EuGH-Vorlage vom 26.01.2023, V R 20/22 (V R 40/19)
BFH, Urteil vom 18.01.2023, XI R 29/22 (XI R 16/18)
siehe dazu BFH, Pressemitteilung vom 23.03.2023, Nummer 019/23
Weitere Fundstellen
EuGH, Urteil vom 01.12.2022, C‑141/20
EuGH, Urteil vom 01.12.2022, C‑269/20