BFH: Besteuerung von Anteilszuteilungen durch eine EU-Kapitalgesellschaft
Eine steuerneutrale Anteilszuteilung ohne Gegenleistung nach § 20 Abs. 4a S. 5 EStG a.F. (bis einschließlich VZ 2020) setzte insbesondere voraus, dass die Ermittlung der Höhe des Kapitalertrags nicht möglich ist. Während die Finanzverwaltung dies bereits unwiderlegbar vermutet, wenn die Anteile von einer ausländischen Gesellschaft zugeteilt werden, kann nach Auffassung des BFH die Höhe des Kapitalertrags auch bei ausländischen Sachverhalten ermittelt werden, wenn – wie im Streitfall - ein Börsenkurs der zugeteilten Anteile vorliegt.
Der BFH äußert Bedenken, dass die Regelung des § 27 Abs. 8 S. 9 KStG, der keine individuelle Nachweismöglichkeit einer Einlagenrückgewähr für Anteilseigner von EU-Kapitalgesellschaften im Veranlagungsverfahren vorsieht, einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit darstellen könnte.
Sachverhalt
Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger erzielten im Streitjahr Einkünfte aus Kapitalvermögen. Der Kläger hielt Aktien an einer britischen Aktiengesellschaft (Vodafone). Eine (mittelbare) Tochtergesellschaft von Vodafone veräußerte eine Beteiligung an einer ausländischen Kapitalgesellschaft an eine andere (mittelbare) Tochtergesellschaft (Verizon) mit Sitz in den USA gegen Zahlung eines Geldbetrages zuzüglich Anteilen an der erwerbenden US-Tochtergesellschaft. In der Hauptversammlung der Vodafone wurde beschlossen, dass die Kläger an dem Verkaufsserlös in Form von Verizon-Aktien beteiligt werden. Der Kläger hatte nicht die Wahlmöglichkeit anstelle der Zuteilung von Verizon-Aktien eine Barausschüttung zu erhalten.
Nach Auffassung des Finanzamts handelt es sich bei der Zuteilung der Verizon-Aktien um eine steuerbare Sachausschüttung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG a.F., die nicht nach § 20 Abs. 4a S. 5 EStG a.F. begünstigt ist. Hingegen vertrat das FG die Auffassung, dass die Zuteilung der Verizon-Aktien gemäß § 20 Abs. 4a S. 5 EStG a.F. steuerneutral erfolgt ist.
Entscheidung
Der BFH kommt nun zum Ergebnis, dass die Zuteilung der Verizon-Aktien an den Kläger keine steuerneutrale Kapitalmaßnahme gemäß § 20 Abs. 4a S. 5 EStG a.F. darstellt. Allerdings wird die Rechtssache an das FG zurückverwiesen.
Gesetzliche Grundlagen
§ 20 Abs. 4a S. 1 bis S. 6 EStG wurde durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008 (BGBl. I 2008, S. 2794) mit dem Ziel einer praktikableren Ausgestaltung der Abgeltungsteuer für Privatanleger bei gesellschaftsrechtlich veranlassten Kapitalmaßnahmen eingeführt. § 20 Abs. 4a EStG beinhaltet spezielle Sondervorschriften für Kapitalmaßnahmen wie z.B. Kapitalerhöhungen, Verschmelzungen, oder Spaltungsvorgänge, bei denen die Erträge regelmäßig nicht als Geldzahlungen, sondern in Form von Anteilen an Kapitalgesellschaften zufließen. Unter bestimmten Voraussetzungen treten die im Zuge der gesellschaftsrechtlichen Maßnahme neu übernommenen Anteile steuerlich an die Stelle der bisherigen Anteile (sog. „Fußstapfentheorie“) und die Besteuerung des Vorgangs wird bis zum Veräußerungszeitpunkt der neu erworbenen Anteile aufgeschoben.
Entsprechendes regelt § 20 Abs. 4a S. 5 EStG a.F. für den Fall, dass einem Steuerpflichtigen Anteile im Sinne des Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG ohne Gegenleistung zugeteilt werden. Der Ertrag der zugeteilten Anteile wird mit 0 Euro angesetzt (d.h. zunächst keine Besteuerung der Vermögensmehrung). Zugleich werden aber auch die Anschaffungskosten der zugeteilten Anteile mit 0 Euro angesetzt, so dass bei Veräußerung der zugeteilten Anteile die Besteuerung des Wertzuwachses nachgeholt wird. Wichtigste Voraussetzung für die Anwendung des § 20 Abs. 4a S. 5 EStG a.F. (Zeitraum 01.01.2009 bis 31.12.2020) war, dass die Ermittlung der Höhe des Kapitalertrags nicht möglich ist.
Gemäß § 20 Abs. 4a S. 7 EStG ist § 20 Abs. 4a S. 1 EStG auch auf Abspaltungen vollumfänglich anwendbar.
Behandlung als steuerbare Sachausschüttung
Nach dem BFH hat die Zuteilung der Verizon-Aktien bei den Klägern zu Kapitalerträgen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG geführt. Mit der Einbuchung der Verizon-Aktien auf dem Depot seien dem Kläger Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG in Form einer Sachausschüttung zugeflossen.
Keine (nicht steuerbare) Einlagenrückgewähr
Nach § 20 Abs. 1 S. 3 EStG gehören Bezüge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG nicht zu den Einnahmen, soweit sie aus Ausschüttungen einer Körperschaft stammen, für die Beträge aus dem steuerlichen Einlagekonto im Sinne des § 27 KStG als verwendet gelten (sog. „Einlagenrückgewähr“). Gemäß § 27 Abs. 8 S. 1 KStG können grundsätzlich auch Körperschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegen eine solche Einlagenrückgewähr erbringen. Da für die Ausschüttung der Vodafone allerdings nicht gesondert festgestellt worden sei, dass es sich um eine Einlagenrückgewähr gemäß § 27 Abs. 8 S. 1 und 2 KStG handelt, gilt diese nach § 27 Abs. 8 S. 9 KStG als Kapitalertrag im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Darüber hinaus bestätigt der BFH seine bisherige Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 27.10.2020, VIII R 18/17), nach der die unterschiedlichen Nachweismöglichkeiten einer Einlagenrückgewähr von Anteilseignern von Drittstaatengesellschaften einerseits (hier: ist ein individueller Nachweis einer Einlagenrückgewähr möglich) und Anteilseignern von EU-Kapitalgesellschaften andererseits (hier: muss auf Antrag der EU-Kapitalgesellschaft die Einlagenrückgewähr gesondert festgestellt werden) nicht zu einer Verfassungswidrigkeit führen.
Keine steuerneutrale Abspaltung
Der BFH stimmt dem FG zu, dass keine steuerneutrale Abspaltung gemäß § 20 Abs. 4a S. 7 EStG a.F. vorliegt. Es fehle insoweit an einer "Übertragung von Vermögensteilen gegen Gewährung von Anteilen des übernehmenden Rechtsträgers an die Anteilsinhaber des übertragenden Rechtsträgers". Nach dem BFH ist es bereits zweifelhaft, ob der Kläger als mittelbar an der veräußernden Vodafone-Tochter. beteiligter Gesellschafter überhaupt "Anteilsinhaber" der übertragenden Rechtsträgerin ist. Jedenfalls erfolgte die Veräußerung nicht gegen Zuteilung der Verizon-Aktien an den Kläger. Die Anteilszuteilung an den Kläger beruhe vielmehr auf einem nach der Veräußerung auf der Hauptversammlung der Vodafone gefassten Beschluss und stehe folglich in keinem direkten Zusammenhang mit der Beteiligungsveräußerung der mittelbaren Vodafone-Tochter.
Keine steuerneutrale Anteilszuteilung ohne Gegenleistung
Entgegen der Auffassung des FG liegt nach dem BFH auch keine steuerneutrale Anteilszuteilung ohne Gegenleistung gemäß § 20 Abs. 4a S. 5 EStG a.F. vor.
Nach § 20 Abs. 4a S. 5 EStG a.F. setzt eine steuerneutrale Anteilszuteilung u.a. voraus, dass die Ermittlung der Höhe des Kapitalertrags nicht möglich ist. Während die Finanzverwaltung dies bereits unwiderlegbar vermutet, wenn die Anteile von einer ausländischen Gesellschaft zugeteilt werden (vgl. BMF-Schreiben vom 18.01.2016), kann nach Auffassung des BFH die Höhe des Kapitalertrags auch bei ausländischen Sachverhalten ermittelt werden, wenn – wie im Streitfall - ein Börsenkurs der zugeteilten Anteile vorliegt.
Wegen der Fiktion des § 27 Abs. 8 S. 9 EStG (Annahme eines Kapitalertrags im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, sofern keine gesonderte Feststellung einer Einlagenrückgewähr gemäß § 27 Abs. 8 S. 1 und 2 KStG) liegt nach dem BFH unstreitig eine steuerpflichtige Sachausschüttung und keine Einlagenrückgewähr vor. Folglich muss der BFH auch zu der in der Literatur vertretenen Auffassung, dass die Unmöglichkeit der Ermittlung der Höhe des Kapitalertrags zu vermuten sei, wenn zweifelhaft ist, ob die Anteilszuteilung im Rahmen einer steuerpflichtigen Sachausschüttung oder einer nichtsteuerbaren Einlagenrückgewähr erfolgt, im Rahmen dieser Entscheidung nicht Stellung nehmen.
Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit?
Der BFH erachtet die Regelung des § 27 Abs. 8 S. 9 KStG, der keine individuelle Nachweismöglichkeit einer Einlagenrückgewähr für Anteilseigner von EU-Kapitalgesellschaften im Veranlagungsverfahren vorsieht, nicht zweifelsfrei mit dem Unionsrecht vereinbar (vgl. auch Urteil vom 27.10.2020, VIII R 18/17).
Da diese Fragestellung allerdings erst dann entscheidungsrelevant wird, wenn feststeht, dass die Kläger selbst einen erfolgreichen Nachweis der Einlagenrückgewähr führen könnten, hat der BFH die Sache an das FG zurückverwiesen.
Betroffene Normen
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 1 EStG a.F., § 20 Abs. 4a EStG a.F.
Streitjahr 2014
Anmerkungen
Neue Rechtslage ab 2021
Mit dem Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 (BGBl. I 2020, S. 3096; siehe Deloitte Tax News) wurde § 20 Abs. 4a S. 5 EStG mit Wirkung für Zuteilungen ab dem Veranlagungszeitraum 2021 neu geregelt. So wurde der Anwendungsbereich von § 20 Abs. 4a S. 5 EStG auf die Zuteilung von Anteilen an Auslandskörperschaften mit beschränkter Körperschaftsteuerpflicht im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KStG („Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Inland hat“) eingeschränkt. Darüber hinaus ist die Tatbestandsvoraussetzung, dass die Ermittlung der Höhe des Kapitalertrags nicht möglich ist, entfallen.
Auffassung der Finanzverwaltung zu Anteilszuteilungen ohne Gegenleistungen (Bonus-Aktien)
Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist bei sog. „Bonus-Aktien“ ein steuerneutraler Vorgang gemäß § 20 Abs. 4a S. 5 EStG anzunehmen, wenn die Ermittlung des Kapitalertrags nicht möglich ist. Davon sei bei ausländischen Sachverhalten auszugehen, es sei denn, dem Anleger steht nach ausländischem Recht ein Wahlrecht zwischen Dividende und Freianteilen zu oder dem Anleger wurden mit ausländischer Quellensteuer belastete Anteile eingebucht.
Hingegen sei bei inländischen Sachverhalten davon auszugehen, dass die Erträge durch entsprechende Angaben des Emittenten zu ermitteln sind und folglich § 20 Abs. 4a S. 5 EStG nicht anzuwenden ist (vgl. BMF-Schreiben vom 18.01.2016, Rz. 111 u. 112).
Fundstellen
BFH, Urteil vom 04.05.2021, VIII R 14/20
BFH, Urteil vom 04.05.2021, VIII R 17/18 – teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 04.05.2021, VIII R 14/20
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 27.10.2020, VIII R 18/17, siehe Deloitte Tax News
BMF, Schreiben vom 18.01.2016, IV C 1 - S 2252/08/10004 :017, BStBl. I 2016, S. 85