BFH: Ausgaben zur Tilgung einer Bürgschaftsverpflichtung
Sachverhalt
Der Kläger war seit 1996 als Leiter des Rechnungswesens bei der A-GmbH beschäftigt. Die GmbH befand sich im Jahr 1999 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Im Dezember 1999 beschied die E-Bank einen Kreditantrag der A-GmbH positiv, verlangte aber u.a. Sicherheiten in Gestalt von Höchstbetragsbürgschaften. Der Kläger übernahm im Dezember 1999 eine entsprechende Bürgschaft. Die E-Bank zahlte daraufhin das Darlehen aus. Im Dezember 1999 wurde der Kläger notariell beurkundet zum Geschäftsführer der A-GmbH bestellt. Außerdem traten die bisherigen Gesellschafter der A-GmbH einen Geschäftsanteil mit Wirkung zum Januar 2000 an den Kläger ab. Tatsächlich kam es nicht zur Eintragung dieser Beschlüsse im zuständigen Handelsregister. Im April 2000 stellte die A-GmbH einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Im Mai 2000 kündigte die E-Bank den Darlehensvertrag. Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH wurde ebenfalls im Mai 2000 eröffnet. Im Juni 2000 endete das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der A-GmbH.
Im September 2000 nahm die E-Bank den Kläger aus der von ihm übernommenen Bürgschaft in Anspruch. Der Kläger zahlte im Jahr 2002 einen Teil des gesamten Bürgschaftsbetrages und im Streitjahr 2003 einen weiteren Teilbetrag. Der Kläger machte in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr den in 2003 gezahlten Teilbetrag als (nachträgliche) Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Dies lehnte das Finanzamt ab. Einspruchsverfahren und Klage blieben erfolglos.
Entscheidung
Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen sind als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 1 S. 2, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG).
Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 S. 1 EStG). Nach ständiger Rechtsprechung liegen Werbungskosten vor, wenn die Aufwendungen durch den Beruf bzw. durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Das ist der Fall, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (BFH-Urteil vom 07.02.2008).
Diese Grundsätze gelten auch für nachträgliche Werbungskosten, die entstehen können, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses Aufwendungen im Zusammenhang mit demselben erbringen muss. In einem solchen Fall muss bereits zu dem Zeitpunkt, in dem der Grund für die Aufwendungen gelegt wird, der dargestellte berufliche Zusammenhang bestehen. Danach können grundsätzlich auch Ausgaben zur Tilgung einer Bürgschaftsverpflichtung Werbungskosten sein. Werden sie als nachträgliche Werbungskosten geltend gemacht, muss demgemäß bereits die Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung beruflich veranlasst gewesen sein.
Ist der Steuerpflichtige nicht nur Arbeitnehmer einer Gesellschaft, sondern auch deren Gesellschafter, kann die Übernahme einer Bürgschaft auch durch seine Gesellschafterstellung veranlasst sein. Stehen Aufwendungen mit mehreren Einkunftsarten in einem objektiven Zusammenhang, sind sie bei der Einkunftsart zu berücksichtigen, zu der sie nach Art und Weise die engere Beziehung haben (BFH-Urteil vom 25.11.2010). Allerdings geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Übernahme einer Bürgschaft oder anderer Sicherheiten durch einen Gesellschafter-Geschäftsführer mit nicht nur unwesentlicher Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft regelmäßig weniger durch die berufliche Tätigkeit, sondern eher durch die Gesellschafterstellung veranlasst ist (BFH-Urteil vom 05.10.2004). Dabei ist jedoch stets Voraussetzung, dass ein steuermindernder Abzug der Aufwendungen aus einer Anwendung des § 17 EStG möglich ist.
Nach diesen Rechtsgrundsätzen erfüllen die vom Kläger geltend gemachten Kosten zur Tilgung der Verpflichtung aus der Bürgschaftsübernahme die Voraussetzungen für einen Werbungskostenabzug bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit. Die Übernahme der Bürgschaft stand im Zusammenhang mit dem Beruf und der Arbeitnehmerstellung des Klägers. Dies wird auch vom FG nicht in Zweifel gezogen. Der vom FG angenommene weitere Veranlassungszusammenhang mit der geplanten Gesellschafterstellung des Klägers verdrängt diesen beruflichen Zusammenhang hier nicht, weil der Kläger nicht Gesellschafter der GmbH geworden ist. Eine steuermindernde Berücksichtigung der geltend gemachten Kosten als Auflösungsverluste (§ 17 Abs. 4 EStG) scheidet deshalb aus. Der steuermindernde Abzug der im steuerbaren Bereich angefallenen Aufwendungen ist aber nach Auffassung des BFH zwingend erforderlich. Ihre Beurteilung als einkommensteuerrechtlich irrelevante Ausgaben auf das Vermögen widerspricht dem das Einkommensteuergesetz prägenden objektiven Nettoprinzip.
Betroffene Norm
§ 9 Abs. 1 S. 2, § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG
Streitjahr 2003
Vorinstanz
Finanzgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.03.2010, 6 K 1328/05, EFG 2010, S. 1423
Fundstelle
BFH, Urteil vom 16.11.2011, VI R 97/10, BStBl II 2012, S. 343
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 07.02.2008, VI R 75/06, BStBl II 2010, S. 48
BFH, Urteil vom 25.11.2010, VI R 34/08, BFH/NV 2011, S. 680; siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 05.10.2004, VIII R 64/02, BFH/NV 2005, S. 54