BFH: Verfassungsmäßigkeit der Entfernungspauschale gegeben
Die Abgeltung sämtlicher gewöhnlicher und außergewöhnlicher Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte durch die Entfernungspauschale und die Ausgrenzung der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel von der abzugsbeschränkenden Wirkung der Entfernungspauschale sind verfassungsgemäß.
Sachverhalt
Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2010 für seine Fahrten zwischen der Wohnung und der Arbeitsstätte mit einem Kfz seine tatsächlichen Kosten geltend. Die Beklagte (FA) hingegen berücksichtigte die geltend gemachten Wegekosten lediglich gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG in Höhe der Entfernungspauschale. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Entscheidung
Das FG Nürnberg habe die Aufwendungen des Klägers für Fahrten zwischen der Wohnung und regelmäßigen Arbeitsstätte zu Recht nur nach Maßgabe der Entfernungspauschale zum Werbungskostenabzug zugelassen.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist zur Abgeltung der Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte von 0,30 EUR anzusetzen. Nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG sind durch die Entfernungspauschalen "sämtliche Aufwendungen" abgegolten, die durch die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte veranlasst sind, es sei denn, es handelt sich um Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, da diese nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG auch angesetzt werden können, soweit sie den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag überschreiten.
Der Kläger habe die Wegstrecken nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern mit einem Kfz zurückgelegt, wodurch der Abzug seiner über die Entfernungspauschale hinausgehenden tatsächlich entstandenen Kosten für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte nach § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ausgeschlossen sei. Die Umstände, dass durch die Entfernungspauschale sämtliche gewöhnlichen wie außergewöhnlichen Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte abgegolten werden (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 EStG) und dass der Gesetzgeber entsprechende Aufwendungen für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG, auch soweit sie den als Entfernungspauschale abziehbaren Betrag überschreiten, zum Werbungskostenabzug zulässt, seien verfassungsgemäß.
Im Bereich des Steuerrechts habe der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Begrenzt sei dieser im Bereich des Einkommensteuerrechts durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit bemesse der einfache Gesetzgeber nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG werde diesem Maßstab gerecht, da sie damit das objektive Nettoprinzip in besonderer Weise wahre und folgerichtig dem Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit Rechnung trage.
Zudem sei der Steuergesetzgeber grundsätzlich nicht gehindert, außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele aus Gründen des Gemeinwohls zu verfolgen und hierfür durch mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss zu nehmen. Verfolge der Gesetzgeber erkennbar solche Förderungs- und Lenkungsziele, könnten sie steuerliche Belastungen oder Entlastungen rechtfertigen, sofern die Regelung gleichheits- und zweckgerecht ausgestaltet sei. Aufgrund dessen, dass die Privilegierung öffentlicher Verkehrsmittel in § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG erkennbar von umwelt- und verkehrspolitischen Zielen getragen sei, sei diese verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Umstand, dass diese Verkehrsmittel insbesondere gegenüber dem motorisierten privaten Individualverkehr in Bezug auf den Primärenergieverbrauch und den Ausstoß von Treibhausgasen umweltfreundlicher seien, rechtfertige deren Privilegierung.
Betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG
Art. 3 Abs. 1 GG
Streitjahr 2010
Anmerkung
Das Verfahren zur Verfassungsmäßigkeit der Entfernungspauschale wurde vom BVerfG mit Beschluss vom 07.07.2017 (2 BvR 308/17) nicht zur Entscheidung angenommen.
Vorinstanz
FG Nürnberg, Urteil vom 29.07.2014, 7 K 784/13
Fundstelle
BFH-Urteil vom 15.11.2016, VI R 4/15, BStBl II 2017 Seite 228