BFH: Erreichen der Beteiligungsschwelle bei unterjährigen Erwerbsvorgängen von mehreren Veräußerern
Die Beteiligungsschwelle von 10% des Grund- oder Stammkapitals, die zur Anwendung der Steuerbefreiung von Dividenden (vgl. § 8b Abs. 1 S.1 und Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 KStG) führt, kann auch durch unterjährige Erwerbsvorgänge von jeweils unterhalb der genannten Beteiligungsschwelle liegenden Anteilspaketen von mehreren Verkäufern erreicht werden. Dies setzt voraus, dass die Beteiligungsschwelle von den Erwerben in Summe überschritten wird und ein aus Sicht des Erwerbers wirtschaftlich einheitlicher Erwerbsvorgang vorliegt.
Sachverhalt
Strittig war, ob die 10 %-ige Beteiligungsschwelle, die zur Anwendung der Steuerbefreiung von Dividenden nach § 8b Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 KStG führt, auch durch mehrere unterjährige Erwerbsvorgänge erreicht werden kann, die zusammen, nicht jedoch jeweils für sich die 10%-Grenze erreichen.
Geschäftsgegenstand der Klägerin, einer GmbH & Co KG, war das Halten und die Verwaltung sämtlicher Anteile an der A-GmbH. Mit der A-GmbH schloss sie einen Ergebnisabführungsvertrag. Im Streitjahr veräußerten drei Kommanditisten der GmbH & Co. KG Teile ihrer Beteiligungen an der GmbH & Co. KG an die E-GmbH. In Summe erwarb die E-GmbH einen Beteiligungsanteil von mehr als 10% in drei zeitgleichen Rechtsgeschäften.
Die GmbH & Co. KG behandelte den auf die E-GmbH entfallenden Anteil an der im Streitjahr vereinnahmten Gewinnausschüttung der A-GmbH als steuerfreie Ausschüttung (vgl. § 8b Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 5 KStG). Das Finanzamt qualifizierte die der E-GmbH zuzurechnende Gewinnausschüttung hingegen als voll körperschaftsteuerpflichtig (vgl. § 8b Abs. 4 S. 1 KStG). Das FG vertrat die Auffassung, dass die 10%-ige Beteiligungsschwelle, die zur Anwendung der Steuerbefreiung von Gewinnausschüttung führt, im Streitfall erreicht wurde.
Entscheidung
Der BFH schließt sich der Auffassung des FG an und kommt zu dem Ergebnis, dass die der E-GmbH zuzurechnende Ausschüttung der A-GmbH nach § 8b Abs. 1 und Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 KStG von der Körperschaftsteuer befreit ist.
Gesetzliche Grundlagen
Nach § 8b Abs. 4 S. 1 KStG sind Bezüge wie Gewinnanteile (Dividenden) abweichend von § 8b Abs. 1 S. 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen, wenn die Beteiligung zu Beginn des Kalenderjahres unmittelbar weniger als 10 Prozent des Grund- oder Stammkapitals betragen hat (sog. Streubesitzdividenden). Beteiligungen über eine Mitunternehmerschaft sind dem Mitunternehmer anteilig zuzurechnen (§ 8b Abs. 4 S. 4 KStG). Nach § 8b Abs. 4 S. 6 KStG gilt der Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 Prozent als zu Beginn des Kalenderjahres erfolgt.
Die Verfassungskonformität der Norm hatte der BFH bereits bestätigt (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.2019, I R 29/17).
Wirtschaftlicher einheitlicher Erwerbsvorgang auch bei mehreren Veräußerern
Der BFH weist zunächst darauf hin, dass höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein Erwerb von jeweils unterhalb der genannten Beteiligungsschwelle liegenden Anteilspaketen von mehreren Verkäufern, wenn aber in der Summe der Erwerbe die genannte Beteiligungsschwelle überschritten wird, von der Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 und Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 KStG erfasst ist.
Nach dem BFH lässt der Wortlaut des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG es zu, die Frage nach dem „Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10%“ aus Sicht des Erwerbers zu beurteilen und darauf abzustellen, ob ein wirtschaftlich einheitlicher Erwerbsvorgang vorliegt oder nicht. Dafür, dass jedenfalls der wirtschaftlich einheitliche Erwerb einer Beteiligung von mindestens 10 % zur Tatbestandserfüllung der Ausnahmeregelung des § 8b Abs. 4 S. 6 KStG ausreichen muss, sprechen sowohl die Entstehungsgeschichte als auch der Normzweck, so der BFH. So könne es aus der maßgeblichen Sicht des Erwerbers und angesichts des Ausnahmecharakters des § 8b Abs. 4 KStG keinen Unterschied machen, ob der Erwerb von einem Veräußerer oder von mehreren Veräußerern erfolgt, weil entscheidend sein müsse, dass durch den Erwerb der Beteiligung von mindestens 10 % ein unternehmerischer Einfluss auf die Entscheidungen bei der Kapitalgesellschaft ausgeübt werden kann. Das hänge aber nicht von der Zahl der Veräußerer, sondern allein von der erworbenen Beteiligung ab. Dies muss nach dem BFH jedenfalls dann ausreichend sein, wenn die maßgebliche Beteiligung von mindestens 10 % aus Erwerbersicht in einem wirtschaftlich einheitlichen Vorgang, damit aufgrund eines einheitlichen Erwerbsentschlusses in kausalem und zeitlichem Zusammenhang, erworben wird.
Im Streitfall sei nach den Feststellungen des FG die maßgebliche Beteiligung von mehreren Veräußerern „aufgrund eines einheitlichen Entschlusses …durch ein einheitliches schuldrechtliches Rechtsgeschäft“ erworben worden. Denn der Erwerb (in einer einheitlichen notariellen Urkunde) beruhe auf einem einheitlichen Erwerbsentschluss und sei auf einen einheitlichen Erwerbszeitpunkt erfolgt. Folglich liege aus der Sicht des Erwerbers ein wirtschaftlich einheitlicher Erwerbsvorgang vor.
Betroffene Norm
§ 8b Abs. 4 S. 6 KStG
Streitjahr: 2014
Vorinstanz
Finanzgericht Hessen, Urteil vom 15.03.2021, 6 K 1163/17, siehe Deloitte Tax News
Fundstelle
BFH, Urteil vom 06.09.2023, I R 16/21
Anmerkung
Offengelassene Fragestellung
Im oben dargestellten Urteil hat der BFH die Frage, ob § 8b Abs. 4 S. 6 KStG bei (Teil-)Erwerben von mehreren Veräußerern generell - also auch in Fällen, wenn kein aus Sicht des Erwerbers wirtschaftlich einheitlichen Erwerbsvorgang vorliegt - anwendbar ist, ausdrücklich offengelassen.
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 18.12.2019, I R 29/17, BStBl. II 2020, S. 690, siehe Deloitte Tax News