BFH: Grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung von Grundstücken einer Untergesellschaft zu der Obergesellschaft
Der BFH bestätigt seine Rechtsprechung im Urteil vom 01.12.2021, II R 44/18 (siehe Deloitte Tax-News), wonach Grundstücke einer Untergesellschaften der Obergesellschaft grunderwerbsteuerrechtlich nur zuzurechnen sind, wenn die ausländische Obergesellschaft selbst sie aufgrund eines Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG erworben hat. In dem aktuellen Urteil verweist der BFH allerdings nicht mehr auf Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 1 bis (!) 3a GrEStG, da bei Erwerben nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG lediglich eine neue Gesellschaft fingiert wird, ohne dass sich die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung ändert.
BFH, Urteil vom 14.12.2022, II R 33/20
Sachverhalt
Eine in den USA ansässige Aktiengesellschaft (C-AG) war über verschiedene Konzerngesellschaften mittelbar – auf jeder Beteiligungsstufe zu mindestens 97 % – an mehreren deutschen GmbHs beteiligt, zu deren Vermögen in Deutschland belegene Grundstücke gehörten.
In 2014 wurde durch Umstrukturierungen im Konzern eine Holdinggesellschaftsstruktur geschaffen. Hierzu gründete eine in Schweden ansässige Tochtergesellschaft der C-AG, die S, die US-amerikanische D, welche somit zunächst die Enkelgesellschaft der C-AG darstellte.
Aufgrund des Umstrukturierungsvertrags sollte die D alleinige Aktionärin der C-AG werden, während jeder bisherige Aktionär der C-AG im Umfang seiner Beteiligung an der C-AG Aktien der D erhalten sollte. Am Ende der Umstrukturierung waren alle Anteile der C-AG in der Hand der D vereinigt, sodass nun die C-AG die Tochtergesellschaft der D war.
Finanzamt und Finanzgericht waren der Auffassung, dass der Vorgang aufgrund einer Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG steuerbar sei. Insbesondere seien aufgrund der Beteiligungsverhältnisse die Grundstücke der grundbesitzenden GmbHs der C-AG zuzurechnen gewesen. Dass sich im damaligen Vermögen der C-AG selbst kein inländisches Grundvermögen befunden habe, das zuvor unter Verwirklichung eines grunderwerbsteuerlichen Tatbestands durch die C-AG erworben worden sei, sei unerheblich.
Entscheidung
Entgegen der Ansicht von Finanzamt und FG gelangt der BFH zu dem Ergebnis, dass der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG nicht erfüllt ist. Denn die Grundstücke der GmbHs "gehörten" in 2014 im Sinne dieser Vorschrift nicht der C.
Gesetzesvorschrift
Gehört zum Vermögen einer Gesellschaft ein inländisches Grundstück, so unterliegt der Steuer, soweit eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2a (heute auch Abs. 2b) GrEStG nicht in Betracht kommt, die Vereinigung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 % (heute 90 %) der Anteile der Gesellschaft, wenn kein schuldrechtliches Geschäft i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vorausgegangen ist (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG).
Der Tatbestand knüpft zwar an den Anspruch auf Übertragung bzw. die Vereinigung von Gesellschaftsanteilen an, erfasst aber die infolge der Vereinigung der Anteile der Gesellschaft mit Grundbesitz in einer Hand spezifisch grunderwerbsteuerrechtlich veränderte Zuordnung von Grundstücken. Derjenige, in dessen Hand sich die Anteile vereinigen, wird so behandelt, als habe er die Grundstücke von der Gesellschaft erworben, deren Anteile sich in seiner Hand vereinigen.
Zurechnung eines Grundstücks
Ob ein Grundstück i.S. des § 1 Abs. 3 GrEStG zum Vermögen der Gesellschaft "gehört", richtet sich weder nach dem Zivilrecht noch nach § 39 AO. Maßgebend ist nach der bFH-Rechtsprechung vielmehr die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung (vgl. BFH-Urteile vom 11.12.2014, II R 26/12, und vom 01.12.2021, II R 44/18).
Ein inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang zuzurechnen, wenn sie zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG oder § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat. Für Zwecke des § 1 Abs. 3 GrEStG ist es ihr nicht mehr zuzurechnen, wenn ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 1 GrEStG oder § 1 Abs. 2 GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht hat.
Ein nach diesen Grundsätzen einer anderen Gesellschaft zuzurechnendes inländisches Grundstück ist einer Gesellschaft im Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den nach § 1 Abs. 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang (hinsichtlich der Anteile an dieser Gesellschaft) zuzurechnen, wenn sie zuvor hinsichtlich dieses Grundstücks einen unter § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG fallenden (fiktiven) Erwerbsvorgang verwirklicht hat.
Soweit der BFH für die Zurechnung bisher auf Erwerbsvorgänge nach § 1 Abs. 1 bis (!) 3a GrEStG abgestellt hat, läuft die Formulierung für Erwerbe nach § 1 Abs. 2a (heute auch Abs. 2b) GrEStG, die lediglich eine neue Gesellschaft fingieren und bei denen sich die grunderwerbsteuerrechtliche Zurechnung nicht ändert, leer. Der BFH hält insoweit daran nicht mehr fest.
Entsprechendes gilt für die Zurechnung eines Grundstücks für Zwecke des § 1 Abs. 2a (heute auch Abs. 2b) und Abs. 3a GrEStG, denn auch diese Tatbestände betreffen Gesellschaften, denen ein Grundstück "gehört".
Mehrstöckige Beteiligungsstrukturen
Diese Grundsätze finden auch bei mehrstöckigen Beteiligungen Anwendung. Ein Grundstück einer Untergesellschaft ist einer Obergesellschaft grunderwerbsteuerrechtlich nur zuzurechnen, wenn die Obergesellschaft selbst es aufgrund eines Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG erworben hat. Der bloße Erwerb des Grundstücks durch die Untergesellschaft führt nicht zu einer automatischen Zurechnung bei der Obergesellschaft bzw. im Falle mehrstöckiger Beteiligungsketten bei den Obergesellschaften. Das bloße Halten einer Beteiligung in einer bestimmten Höhe stellt selbst keinen grunderwerbsteuerbaren Erwerbsvorgang dar.
Ergebnis im Streitfall
Die Grundstücke der GmbHs "gehörten" in 2014 der C-AG nicht i.S. von § 1 Abs. 3 GrEStG, da die C-AG selbst hinsichtlich dieser Grundstücke keinen grunderwerbsteuerrechtlichen Tatbestand nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG verwirklicht hatte.
Anmerkung: Da der im Streitfall angegriffene Feststellungsbescheid ausdrücklich nur die unmittelbare Vereinigung der Anteile der C-AG als steuerbaren Erwerbsvorgang benannt hat, kam es nicht darauf an, ob eine eventuelle mittelbare Vereinigung der Anteile der GmbHs den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG erfüllt hätte.
Hinweis auf BFH-Urteil vom 14.12.2022, II R 40/20
Auch in dem Urteil vom 14.12.2022, II R 40/20, dem eine Vereinbarungstreuhand zugrunde lag, hat der BFH die oben aufgeführten Grundsätze zur Zurechnung von Grundstücken angewandt. Ein Grundstück ist einer Gesellschaft danach dann grunderwerbsteuerlich nicht mehr zuzurechnen, wenn ein Dritter einen Erwerbsvorgang entweder nach § 1 Abs. 1 oder nach Abs. 2 (wirtschaftliche Verwertungsbefugnis) GrEStG verwirklich hat.
Gesetzesvorschrift
Nach § 1 Abs. 2 GrEStG unterliegen der Grunderwerbsteuer auch Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten.
Grundstückzurechnung bei Verwertungsbefugnis aufgrund Treuhandverhältnis
Eine Verwertungsbefugnis des Auftraggebers i.S. von § 1 Abs. 2 GrEStG kann auch bei Vereinbarung eines Treuhandverhältnisses zwischen dem Auftraggeber und dem Beauftragten gegeben sein.
In solchen Fällen unterliegt gemäß § 1 Abs. 2 GrEStG die damit dem Auftraggeber verschaffte Verwertungsbefugnis der Grunderwerbsteuer. Da dieser Steuertatbestand ebenso wie die Tatbestände des § 1 Abs. 1, Abs. 2a (heute auch Abs. 2b), Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG den wirtschaftlichen Zugriff auf das Grundstück zu erfassen suchen, ist es nach Ansicht des BFH gerechtfertigt, bei Auseinanderfallen von Eigentum und Verwertungsbefugnis die Zurechnung eines Grundstücks für Zwecke jener Erwerbstatbestände an die Verwertungsbefugnis und nicht mehr an das wirtschaftlich bedeutungslos gewordene Eigentum anzuknüpfen.
Betroffene Normen
Streitjahr 204
§ 1 Abs. 3 Nr. 2 GrEStG
Vorinstanzen
Hessisches Finanzgericht, 30.09.2020, 5 K 2390/17, EFG 2021, S. 303 (zu II R 33/20), siehe Deloitte Tax-News
Hessisches Finanzgericht, 12.11.2020, 5 K 2582/11 (zu II R 40/20)
Fundstellen
BFH, Urteil vom 14.12.2022, II R 33/20, nicht zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt
BFH, Urteil vom 14.12.2022, II R 40/20
Weitere Fundstellen
BFH, Urteil vom 01.12.2021, II R 44/18,siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 11.12.2014, II R 26/12, BStBl. II 2015, S. 402