EuGH: Kein grenzüberschreitender Apothekenrabatt
Das Urteil setzt sich sowohl mit der umsatzsteuerlichen Beurteilung von Leistungsbeziehungen im deutschen Krankenversicherungsrecht als auch mit der Behandlung von (grenzüberschreitenden) Rabatten auseinander. Kann im Rahmen des deutschen Krankenversicherungsrechts überhaupt eine Lieferkette iSd Elida Gibbs Rechtsprechung vorliegen?
Hintergrund
Seit der EuGH Entscheidung Elida Gibbs (EuGH Urt. v. 24.10.1996, C-317/94) und den dort entwickelten Grundsätzen zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Rabatten ist fraglich, ob diese sich auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwenden lassen. Zwar gab es immer wieder höchstrichterliche Entscheidungen, die einerseits zur Konkretisierung der Elida Gibbs Grundsätze beitrugen (bspw. EuGH Urt. v. 16.1.2014, C-300/12, Ibero Tours, siehe Deloitte Tax-News, EuGH Urt. v. 20.12.2017, C-462/16, Boehringer-Ingelheim, siehe Deloitte Tax-News) und aus denen folgte, unter welchen Voraussetzungen eine Minderung der Bemessungsgrundlage überhaupt in Betracht kommt, andererseits aber offenblieb, wie grenzüberschreitende Sachverhalte zu behandeln sind.
Im Jahr 2014 setzte sich der BFH mit der Frage der Vorsteuerkorrektur in Fällen der grenzüberschreitenden Rabattierung auseinander (BFH Urt. v. 5.6.2014, XI R 25/12 und Urt. v. 4.12.2014, V R 6/13 und zur Umsetzung durch die Finanzverwaltung, siehe Deloitte-Tax-News). Allerdings handelte es sich in beiden Urteilen um vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen, so dass die Frage, wie bei grenzüberschreitenden Sachverhalten und solchen Leistungsempfängern zu verfahren ist, die gerade nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind, wie etwa gesetzliche Krankenversicherungen, offenblieb.
Sachverhalt
Vorliegend lieferte eine im Ausland ansässige Versandapotheke Medikamente an gesetzlich Versicherte im Inland. Die Apotheke gewährte den Versicherten Preisnachlässe. Streitig war, ob die Versandapotheke ihre Bemessungsgrundlage mindern kann.
Bisherige Handhabung
Im Rahmen von grenzüberschreitenden Lieferungen von Arzneimitteln durch Apotheken an gesetzlich Versicherte in Deutschland stehen diese wirtschaftlich betrachtet schlechter dar, als privat Versicherte (siehe Deloitte Tax-News). Der Versand von Medikamenten an gesetzlich Versicherte in Deutschland ist zunächst eine Lieferung an die gesetzliche Krankenkasse, die den Versicherten dann die Medikamente nach dem Sachleistungsprinzip im Rahmen des Versicherungsverhältnisses zur Verfügung stellt. Für die Internet-Apotheke liegt eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung im Ausgangsmitgliedstaat vor und aus Sicht der gesetzlichen Krankenkasse ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb in Deutschland. Mangels Steuerbarkeit und -pflicht der Lieferung im Inland kann die BMG zugunsten der Internetapotheke nicht gemindert werden. Anders sieht dies bei der Versendung von Arzneimitteln an privat Versicherte aus, da hier die Versandhandelsregelung nach § 3c Abs.1, Abs. 2 Nr. 1 UStG greift. Die Lieferung ist im Inland steuerbar, so dass der dem privat Versicherten gewährte Rabatt die BMG der Lieferung mindert.
Vorlagefragen
Zweifelnd an der bisherigen Handhabung legte der BFH dem EuGH die grundsätzliche Frage vor, ob im Rahmen des deutschen Krankenversicherungsrechts überhaupt eine Lieferkette iSd Elida Gibbs Rechtsprechung vorliegen kann, unabhängig von dem Ansässigkeitsstaat der Apotheke. Nur wenn das der Fall ist, stellt sich die zweite Frage zur Gleichbehandlung zwischen inländischen und ausländischen Apotheken hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der Rabatte.
Entscheidung
Der EuGH urteilte, dass eine Erstattung auslösende Berichtigung der Bemessungsgrundlage nicht in Betracht kommt, da die ausländische Versandhandelsapotheke aufgrund der Steuerfreiheit der Lieferung nicht über eine berichtigungsfähige Bemessungsgrundlage verfügt. Ausgeschlossen hat der EuGH jedenfalls eine Minderung der Bemessungsgrundlage der Lieferung an die privat Versicherten aufgrund des an die gesetzlich Versicherten gezahlten Rabatts. Angesichts der Antwort auf die erste Frage war die zweite Frage nicht zu beantworten.
Anmerkung
Ausgehend von steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferungen durch die Versandapotheke an die gesetzliche Krankenkasse stellt der EuGH fest, dass es an einer berichtigungsfähigen Bemessungsgrundlage fehlt. Zu der sich anschließenden zur Verfügung Stellung der Medikamente nach dem Sachleistungsprinzip im Rahmen des Versicherungsverhältnisses durch die Krankenkasse an die Versicherten äußert sich der EuGH nicht. Es fehlt an Ausführungen, ob im Rahmen des deutschen Krankenversicherungsrechts überhaupt eine Lieferkette im Sinne der Elida-Gibbs Rechtsprechung vorliegen kann. Weitere Klärung über die Minderung der Bemessungsgrundlage vor allem auch außerhalb unmittelbarer Leistungsbeziehungen nach den Elida-Gibbs Grundsätzen ist offengeblieben; die Reichweite dieser Grundsätze ist daher nach wie vor nicht geklärt. Offen bleibt auch die Frage, ob die inländischen gesetzlichen Krankenkassen eine Minderung der Bemessungsgrundlage für den Erwerb der Medikamente geltend machen können.
Im Nachfolgeurteil hat der BFH nun die Chance - und der Rechtsanwender die stete Hoffnung - auf Klärung einiger, der immer noch offenen Fragen im Bereich der grenzüberschreitenden Rabattgewährung auch im Gesundheitssektor.
Betroffene Norm
§ 17 Abs. 1 UStG
Fundstelle
EuGH, Urteil vom 11.03.2021, C-802/19