BFH: Nichtberücksichtigung „finaler“ ausländischer Betriebsstättenverluste
Der auf einem DBA beruhende Ausschluss der Berücksichtigung von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte verstößt auch im Hinblick auf sog. „finale“ Verluste nicht gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 22.09.2022, C-538/20, „W“; Bestätigung des BFH-Urteils vom 22.02.2017, I R 2/15).
Sachverhalt

Die Klägerin, eine deutsche Wertpapierhandelsbank in Form einer AG, unterhielt in den Wirtschaftsjahren 2004/2005 bis 2006/2007 (abweichendes Wirtschaftsjahr) eine Zweigniederlassung in Großbritannien, die keine Gewinne abwarf. Mitte 2007 wurde daher deren Betrieb eingestellt. Aufgrund der Schließung der Zweigniederlassung konnten die steuerlichen Verluste in Großbritannien nicht mehr vorgetragen werden. Die Klägerin war der Auffassung, die der Zweigniederlassung zuzuordnenden Verluste seien trotz abkommensrechtlicher Freistellung der Einkünfte der Zweigniederlassung von der inländischen Besteuerung aus unionsrechtlichen Gründen als finale Verluste bei der Gewinnermittlung zu berücksichtigen. Das Finanzamt hatte die Verluste hingegen unberücksichtigt gelassen.
Der BFH legte dem EuGH daraufhin diverse Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vor (vgl. EuGH-Vorlage vom 06.11.2019, I R 32/18, siehe Deloitte Tax-News) und setzte das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH aus. Mit Urteil vom 22.09.2022 (C-538/20 „W“, siehe Deloitte Tax-News) kam der EuGH zu der Entscheidung, dass die Niederlassungsfreiheit keine Berücksichtigung finaler Verluste einer DBA-Freistellungsbetriebsstätte beim deutschen Stammhaus erforderlich macht.
Entscheidung
In seiner Entscheidung setzt der BFH die Rechtsprechung des EuGH nun um und versagt die gewinnmindernde Berücksichtigung der in der britischen Zweigniederlassung erzielten finalen Verluste im Rahmen der Festsetzung der Körperschaftsteuer sowie des Gewerbesteuermessbetrags.
Kein Verlustabzug bei der Körperschaftsteuer
Die der AG (Klägerin) durch die in Großbritannien gelegene Betriebsstätte entstandenen Verluste sind nach Ansicht des BFH aufgrund des DBA Großbritannien in Deutschland von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer ausgenommen. Entscheidend für den Fall der auf einem DBA beruhenden Freistellung sei dabei die sog. Symmetriethese. Danach sind neben positiven Einkünften auch negative Einkünfte, also Verluste, aus der inländischen Bemessungsgrundlage auszunehmen, wenn sich der in einer abkommensrechtlichen Verteilungsnorm verwendete Einkünftebegriff auf einen Nettobetrag bezieht (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 11.03.2008, I R 116/04).
Kein Verlustabzug beim Gewerbesteuermessbetrag
Nach Auffassung des BFH sind auch im Rahmen der Festsetzung des Gewerbesteuermessbetrags der AG die der britischen Zweigniederlassung zuzuordnenden Verluste nicht zu berücksichtigen. Für die Klägerin als unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige AG ist Ausgangspunkt für die Ermittlung des Gewerbeertrags mithin der nach den Vorschriften des KStG zu ermittelnde Gewinn. Einkünfte – auch solche negativer Art –, die im Fall der abkommensrechtlichen Freistellung von der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer auszunehmen sind, sind damit aus Sicht des BFH auch von vornherein nicht Bestandteil des Gewerbeertrags i.S.v. § 7 S. 1 GewStG (vgl. BFH-Urteil vom 09.06.2010, I R 107/09). Der Ausschluss des Verlustabzugs beruhe folglich auch im Hinblick auf die Gewerbesteuer auf dem Abkommen und nicht auf einer Kürzung nach § 9 Nr. 3 GewStG.
Kein Verstoß gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit
Dieser Ausschluss des Verlustabzugs bei der Körperschaft- und der Gewerbesteuer verstößt laut BFH auch nicht im Hinblick auf sog. finale Verluste gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV.
Der EuGH hat mit Urteil vom 22.09.2022 (C-538/20, „W“, siehe Deloitte Tax-News) entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit einer Steuerregelung eines Mitgliedstaates nicht entgegensteht, die die inländische Abzugsfähigkeit endgültiger Verluste einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebstätte ausschließt, wenn der Ansässigkeitsstaat aufgrund eines DBA auf seine Befugnis zur Besteuerung der Einkünfte dieser Betriebsstätte verzichtet hat. Im Fall der auf einem DBA beruhenden Freistellung der ausländischen Einkünfte im Sitzstaat sei wegen der fehlenden Besteuerungsbefugnis schon tatbestandlich eine Vergleichbarkeit mit Inlandsfällen nicht gegeben. Damit habe der EuGH sein Urteil „Timac Agro“ (vgl. EuGH-Urteil vom 17.12.2015, C-388/14, siehe Deloitte Tax-News) – und im Ergebnis auch das darauf basierende BFH-Urteil vom 22.02.2017 (I R 2/15 siehe Deloitte Tax-News) – bestätigt.
Der EuGH sehe für die Frage der Vergleichbarkeit der Verhältnisse einen maßgeblichen Unterscheid darin, ob der „symmetrische“ Ausschluss der Berücksichtigung der gebietsfremden Betriebsstättengewinne und -verluste – wie im zugrundeliegenden Streitfall und im Fall „Timac Agro“ – auf einer bilateralen Vereinbarung (DBA) mit dem Betriebsstättenstaat beruht oder ob der Ausschluss seine Grundlage – wie im Fall „Bevola/Trock“ ((vgl. EuGH-Urteil vom 12.06.2018, C-650/16) – in einer unilateralen Entscheidung des nationalen Steuerrechts hat. Vorliegend handelt es sich laut BFH bei der die Verlustberücksichtigung im Streitfall ausschließenden Symmetriethese um einen bilateralen Ausschluss und nicht um einen unilateralen Ausschluss des Verlustabzugs.
Betroffene Normen
Art. 3 DBA GBR, Art. 18 DBA GBR
Streitjahr 2007
Anmerkungen
Praxishinweis
Die Erfolgsaussichten etwaiger Rechtsbehelfe bei finalen Betriebsstättenverlusten im Outbound-Fall sind aufgrund der oben dargestellten Entscheidung des BFH wohl drastisch gesunken. In Abhängigkeit des Einzelfalls sollte geprüft werden, ob diese Rechtsbehelfe noch fortgeführt werden sollen.
Hintergrund
Haben zwei Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit Freistellungsmethode für gebietsfremde Betriebsstätten abgeschlossen, sind die positiven wie auch die negativen Einkünfte der ausländischen Freistellungsbetriebsstätte im Inland von der Besteuerung ausgenommen. Strittig ist, ob bei sog. finalen Verlusten, die beispielsweise bei Einstellung des Geschäftsbetriebs der ausländischen Betriebsstätte auftreten und endgültig im anderen EU-Staat nicht mehr vorgetragen oder anderweitig verrechnet werden können, die Niederlassungsfreiheit einen grenzüberschreitenden Verlustabzug dennoch gebietet.
Mit dem Grundsatzurteil vom 13.12.2005 (C-446/03 „Marks & Spencer“) hatte der EuGH erstmalig das Konstrukt der „finalen“ Verluste konzipiert. In den vergangenen Jahren wurde die ursprüngliche Konzeption stetig novelliert, indem sie sowohl Erweiterungen als auch Einschränkungen erfuhr.
Im „Timac Agro“ Fall (vgl. EuGH-Urteil vom 17.12.2015, C-388/14) hatte der EuGH entschieden, dass die Verluste einer ausländischen DBA-Freistellungsbetriebsstätte, die aufgrund konzerninterner Veräußerung im Ausland nicht mehr nutzbar sind, nicht beim Stammhaus zu berücksichtigen sind.
Hingegen hatte der EuGH im Fall „Bevola/Trock“ (vgl. EuGH-Urteil vom 12.06.2018, C-650/16) einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit bejaht. Im damaligen Fall ging es um dänische Rechtsvorschriften, die es einer in Dänemark ansässigen Gesellschaft auch dann verwehrten, von ihrem steuerpflichtigen Gewinn Verluste abzuziehen, die ihrer in einem anderen Mitgliedstaat (hier Finnland) belegenen Betriebsstätte entstanden waren, wenn diese Verluste in diesem anderen Mitgliedstaat endgültig nicht mehr berücksichtigt werden konnten, sofern die in Dänemark ansässige Gesellschaft nicht eine Regelung der internationalen gemeinsamen Besteuerung (Option) gewählt hatte, was strengen Voraussetzungen unterlag. Dagegen hätte eine in Dänemark ansässige Gesellschaft diesen Abzug vornehmen können, wenn ihre Betriebsstätte sich in Dänemark befunden hätte.
Mit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache „W“ (vgl. EuGH-Urteil vom 22.09.2022, C-538/20) hat der EuGH eine (lang erwartete) Grundsatzentscheidung zu finalen Verlusten im Fall einer DBA-Freistellungsbetriebsstätte vorgelegt und eine Abgrenzung der in der Vergangenheit zu dieser Thematik ergangenen Urteile vorgenommen.
Vorinstanz
Hessisches Finanzgericht, Urteil vom 04.09.2018, Az: 4 K 385/17
Fundstelle
BFH, Urteil vom 22.02.2023, I R 35/22
Weitere Fundstellen
EuGH, Urteil vom 22.09.2022, C-538/20 „W“, siehe Deloitte Tax-News
BFH, EuGH-Vorlage vom 06.11.2019, I R 32/18, siehe Deloitte Tax News
EuGH, Urteil vom 12.06.2018, C-650/16, „Bevola/Trock“, DStR 2018, S. 1353, siehe Deloitte Tax-News
EuGH, Urteil vom 17.12.2015, C-388/14, „Timac/Agro“, BStBl. II 2016, S. 362, siehe Deloitte Tax-News
EuGH, Urteil vom 13.12.2005, C-446/03, „Marks & Spencer“, DStR 2005, S. 2168
BFH, Urteil vom 22.02.2017, I R 2/15, BStBl II 2017, S. 709, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Urteil vom 09.06.2010, I R 107/09, BFHE 230, S. 35
BFH, Beschluss vom 11.03.2008, I R 116/04, BFH/NV 2008, S. 1161
