Zurück zur Übersicht
31.05.2012
Unternehmensteuer

BFH: Abzugsbeschränkung für Verluste aus stillen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften im Veranlagungszeitraum 2003

Sachverhalt
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Einkommen der Klägerin, einer GmbH, für das Streitjahr (2003) um Verluste aus einer stillen Beteiligung zu vermindern ist.

Die Klägerin, deren Wirtschaftsjahr zum 30.06. endete, gründete im Februar 2002 eine Aktiengesellschaft (X-AG) und beteiligte sich als stille Gesellschafterin am Unternehmen der X-AG. Sie sollte sowohl am Gewinn als auch am Verlust der X-AG teilnehmen. Die X-AG erzielte in ihren zum 30.06.2002 und 30.06.2003 endenden Wirtschaftsjahren Verluste, woraus für die Klägerin Verlustanteile resultierten, die sie durch entsprechende Einlagen ausgeglichen hatte. Die stille Beteiligung wurde in der auf den 30.06.2003 erstellten Bilanz der Klägerin mit null Euro ausgewiesen. Im Jahr 2004 hat die Klägerin ihren Anteil an der X-AG veräußert und auf ihre Rechte aus der stillen Beteiligung verzichtet. Das Finanzamt erkannte den auf das Wirtschaftsjahr 2002/03 entfallenden Verlustanteil der Klägerin aufgrund der durch das Steuervergünstigungsabbaugesetz (StVergAbG) getroffenen Neuregelungen in § 15 Abs. 4 S. 6 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG 2002 n.F. nicht an. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.

Das BMF ist dem Verfahren auf das entsprechende Ersuchen des BFH durch Beschluss vom 20.10.2010 beigetreten und hat zu den ihm mit jenem Beschluss vorgelegten Fragen Stellung genommen. Das BMF ist u.a. der Auffassung, dass § 52 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 4 S. 6, § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG 2002 n.F. mit den Grundsätzen zum verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz vereinbar sei. Die Neuregelungen seien ohne weitere Übergangsregelung ab Veranlagungszeitraum 2003 und somit auch für Verluste des Wirtschaftsjahres 2002/03 anzuwenden. 

Entscheidung
Die Revision ist begründet und der Klage stattzugeben. Die Neuregelungen in § 15 Abs. 4 S. 6 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG 2002 n.F. waren im Streitjahr noch nicht anzuwenden.

Aus dem forderungsähnlichen Charakter des stillen Gesellschaftsverhältnisses ergibt sich, dass - in Fällen übereinstimmender Wirtschaftsjahre - auch die auf den stillen Gesellschafter entfallenden Verlustanteile dessen Betriebsvermögen phasengleich mindern. Insoweit kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Berechnung und Abbuchung des Verlusts an, maßgeblich ist vielmehr, dass die zum Bilanzstichtag (rechtlich oder wirtschaftlich) entstandenen Verluste unter Berücksichtigung der bis zur Bilanzaufstellung bekannt gewordenen (wertaufhellenden) Umstände im Abschluss des stillen Gesellschafters auszuweisen sind. Die Klägerin hat deshalb im Streitfall zu Recht den von der X-AG für das Wirtschaftsjahr 2002/03 ermittelten Verlustanteil in ihren auf den 30.06.2003 erstellten Abschluss übernommen. Entgegen der Stellungnahme des BMF ist es für die phasengleiche Übernahme des Verlustanteils ohne Bedeutung, ob der Wert der mitgliedschaftlichen Rechte des stillen Gesellschafters infolge der zugewiesenen Verluste voraussichtlich dauernd gemindert wird. Denn ebenso wie ein für den stillen Gesellschafter berechneter Gewinnanteil nicht die Bewertung der bisherigen Forderung betrifft, sondern den Forderungsbestand aus dem kreditähnlichen Verhältnis erhöht, hat umgekehrt ein auf den stillen Gesellschafter entfallender Verlustanteil zur Folge, dass sich der Bestand seiner Forderung gegenüber dem Geschäftsinhaber mindert. Der Verlustanteil der Klägerin ist deshalb - gleich dem Fall der teilweisen Tilgung eines auf Geld gerichteten Anspruchs - vom Buchwert des forderungsähnlichen Rechts abzusetzen.

Nach den durch das StVergAbG in das EStG eingefügten Steuerverschärfungen (§ 15 Abs. 4 S. 6 und § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG 2002 n.F.), sind Verluste aus stillen Gesellschaften an Kapitalgesellschaften nur unter den Voraussetzungen des § 10d EStG 2002 mit Gewinnen aus derselben Innengesellschaft verrechenbar. Diese Verlustverwertungsbeschränkung ist nach dem Wortlaut des § 52 Abs. 1 EStG 2002 n.F. ab dem Veranlagungszeitraum 2003 und mithin auch für Verluste aus stillen Beteiligungen zu beachten, die - wie im Streitfall - dem Einlagekonto des stillen Gesellschafters mit Ablauf des Wirtschaftsjahres 2002/03 belastet wurden. § 52 Abs. 1 EStG 2002 n.F. ist jedoch im Wege der verfassungskonformen Auslegung dahin einzuschränken, dass die Ausgleichs- und Abzugsverbote für Verluste aus stillen Gesellschaften jedenfalls dann nicht anzuwenden sind, wenn der Gesellschaftsvertrag spätestens am Tag des Kabinettsbeschlusses zum "Entwurf eines Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen" (20.11.2002) rechtswirksam abgeschlossen worden ist und der in Frage stehende Verlust auf das erste nach Verkündung des StVergAbG am 20.05.2003 im Jahr 2003 endende Wirtschaftsjahr (d.h. auf das Wirtschaftsjahr 2003 oder Wirtschaftsjahr 2002/03) entfällt.

Dem steht nicht entgegen, dass es nach ständiger Rechtsprechung ausgeschlossen ist, ein Gesetz gegen seinen ausdrücklichen Wortlaut und gegen den erkennbaren Willen des Gesetzgebers verfassungskonform auszulegen. Hiervon abzugrenzen sind zu weit geratene - und damit verdeckt lückenhafte - Überleitungsbestimmungen, die auch Sachverhaltskonstellationen erfassen, für die der Gesetzgeber - hätte er sie bedacht - zur Vermeidung einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung eine besondere Anwendungsregelung getroffen hätte. Eine solche verdeckte Regelungslücke ist im Wege der ergänzenden Rechtsfortbildung dadurch zu schließen, dass die verfassungsrechtlich erforderlichen Einschränkungen dem Gesetzeswortlaut hinzuzufügen sind (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 23.03.2011). So ist der BFH schon im Fall der Neuregelungen zur Abschaffung der Mehrmütterorganschaft von einer verdeckten Regelungslücke ausgegangen, die er im Wege der Rechtsfortbildung geschlossen hat (BFH-Beschluss vom 15.02.2012).

Nach diesen Grundsätzen enthält auch die Überleitungsbestimmung des § 52 Abs. 1 EStG 2002 n.F., nach der § 15 Abs. 4 S. 6 und § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG 2002 n.F. ab dem Veranlagungszeitraum 2003 anzuwenden sind, eine verdeckte Regelungslücke, die zur Wahrung des Rechtsstaatsprinzips im Wege einer den Normtext einschränkenden Auslegung zu schließen ist. Auszugehen ist hierbei davon, dass im Streitfall über eine sog. unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) zu entscheiden ist, da das StVergAbG am 20.05.2003 verkündet worden ist, seine belastenden Rechtsfolgen (hier: Verlustverwertungsbeschränkungen) jedoch - unter Rückgriff auf einen bereits zuvor ins Werk gesetzten Sachverhalt (hier: Begründung der stillen Beteiligung am 21.02.2002) - erst im Zeitpunkt der Entstehung der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer 2003, also am 31.12.2003, eintreten. Hierauf ist auch dann abzustellen, wenn - wie vorliegend - das Ergebnis eines abweichenden Wirtschaftsjahres (hier: Wirtschaftsjahr 2002/03) in dem Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) zu erfassen ist, in dem das (abweichende) Wirtschaftsjahr endet (hier: 2003) und in dessen Verlauf das den Steuerpflichtigen belastende Gesetz verkündet worden ist (hier: 20.05.2003; vgl. allgemein BFH-Urteil vom 23.03.2011).

Hiernach muss für den Streitfall angenommen werden, dass eine Anwendung der Neuregelung bereits im Veranlagungszeitraum 2003 das Vertrauensschutzinteresse der Klägerin verletzen würde. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Klägerin deshalb in besonderem Maße schutzwürdig war, weil sie ihre Beteiligung erstmals zum 30.06.2003 unter Wahrung einer Frist von sechs Monaten ordentlich hätte kündigen können und sie damit nach ihren gesellschaftsvertraglichen Bindungen keine Möglichkeit hatte, der steuerlichen Entwertung des im gesamten Wirtschaftsjahr 2002/03 anfallenden Verlusts durch die bereits für den Veranlagungszeitraum bzw. Erhebungszeitraum 2003 anzuwendenden Rechtsverschärfungen des StVergAbG zu begegnen. Zum anderen ist nicht erkennbar, dass das öffentliche Interesse an einer sofortigen Rechtsänderung geeignet sein könnte, die Enttäuschung dieses schutzwürdigen Vertrauens der Klägerin zu rechtfertigen.

Für die Bestimmungen des § 15 Abs. 4 S. 6, § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG 2002 n.F. i.V.m. § 52 Abs. 1 EStG 2002 n.F. ist von einer verdeckten Regelungslücke auszugehen, da angenommen werden muss, dass der Gesetzgeber - wären ihm die aufgezeigten Zusammenhänge bewusst gewesen, im Hinblick auf die Verlustverwertungsbeschränkungen bei stillen Gesellschaften für einen verfassungsgemäßen Übergang gesorgt und dabei die berechtigten Belange der Betroffenen berücksichtigt hätte. Demnach sind bei Abschluss des stillen Gesellschaftsvertrags vor dem 21.11.2002 die Verwertungsbeschränkungen jedenfalls für die Verluste nicht anzuwenden, die zum Ende des ersten nach Verkündung des StVergAbG im Jahre 2003 abgelaufenen Wirtschaftsjahres (Wirtschaftsjahr 2003 oder Wirtschaftsjahr 2002/03) entstanden sind. Sie stehen damit auch im Streitfall, der die im Wirtschaftsjahr 2002/03 erwirtschafteten Verluste zum Gegenstand hat, einem Ausgleich mit den von der Klägerin aus anderen Einkunftsquellen erzielten Gewinnen nicht entgegen.

Betroffene Norm  
§ 52 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 4 S. 6 und 7, § 20 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG 2002 i.d.F. des StVergAbG
Streitjahr 2003

Vorinstanz
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 09.06.2008, 6 K 406/04, DStRE 2009, S. 404

Fundstelle
BFH, Urteil vom 27.03.2012, I R 62/08, BStBl II 2012, S. 745

Weitere Fundstellen
BFH, Beschluss vom 20.10.2010, I R 62/08, BStBl II 2011, S. 272, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 15.02.2012, I B 7/11
BFH, Urteil vom 23.03.2011, X R 28/09, BStBl II 2011, S. 753, siehe Deloitte Tax-News

So werden Sie regelmäßig informiert:
Artikel teilen:
Diese Webseite verwendet Cookies, um Ihnen einen bedarfsgerechteren Service bereitstellen zu können. Indem Sie ohne Veränderungen Ihrer Standard-Browser-Einstellung weiterhin diese Seite besuchen, erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden. Möchten Sie mehr Informationen zu den von uns verwendeten Cookies erhalten und erfahren, wie Sie den Einsatz unserer Cookies unterbinden können, lesen Sie bitte unsere Cookie Notice.