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17.04.2014
Unternehmensteuer

BFH: AdV wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Zinsschranke

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob die Regelungen der Zinsschranke verfassungsrechtlichen Vorgaben standhalten. Eine AdV ist nicht deswegen zu versagen, weil zu erwarten ist, dass das BVerfG lediglich die Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit dem GG aussprechen und dem Gesetzgeber eine Nachbesserungspflicht für die Zukunft aufgeben wird.

Sachverhalt

Die Antragstellerin, eine GmbH, ist ein Unternehmen, das im Streitjahr 2008 die Herstellung von Maschinen und Geräten sowie den Handel mit ihnen betrieb. Zwar war ihr Ergebnis vor Anwendung der Zinsschranke negativ, allerdings war sie Teil eines Konzerns und ihre Eigenkapitalquote war nicht mindestens annähernd gleich hoch oder höher als die ihres Konzerns, weshalb es zur Anwendung der Zinsschranke kam.

Das Finanzamt ließ nicht sämtliche Zinsen zum Abzug zu und stellte den verbleibenden Zinsaufwand als Zinsvortrag fest. Die GmbH legte gegen den entsprechenden Körperschaftsteuerbescheid Einspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde, und begehrte AdV, die abgelehnt wurde. Auch der daraufhin gestellte Antrag auf gerichtliche AdV blieb ohne Erfolg.

Entscheidung

Das FG habe zu Unrecht das überwiegende Interesse der Antragstellerin an der AdV verneint.

Das FG habe zwar zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen der Zinsschranke gem. 4h EStG i.V.m. § 8a KStG bejaht. Allerdings sei die Verfassungsmäßigkeit von § 4h Abs. 1 S. 1 EStG ernstlich zweifelhaft.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebiete dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Der Gesetzgeber habe im Steuerrecht zwar bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Allerdings werde dieser vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Vorliegend könne am Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gegen das Gebot der Folgerichtigkeit verstoßen worden sein.

Die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit werde im Bereich der Körperschaftsteuer grundsätzlich durch das objektive Nettoprinzip sichergestellt. Die Zinsschranke führe aber dazu, dass gerade nicht das Nettoeinkommen besteuert werde, da aufgrund der Zinsschranke Zinsen nicht im vollen Umfang abzugsfähig seien.

Es sei zweifelhaft, ob diese Durchbrechung gerechtfertigt sei. Der Gesetzgeber könne zwar grundsätzlich zur Gegenfinanzierung von Steuersenkungen einzelne betriebliche Aufwendungen unter Einschränkung des objektiven Nettoprinzips bei der Bemessung der Körperschaftsteuer unbeachtet lassen. Dies müsse jedoch durch eine möglichst gleichmäßig belastende Erweiterung der Bemessungsgrundlage geschehen. Überdies bestünden ernstliche Zweifel, ob die Zinsschranke durch einen sog. qualifizierten Fiskalzweck gerechtfertigt werden könne.

Zudem sei fraglich, ob der Zweck der Missbrauchsabwehr zur Rechtfertigung der Zinsschranke angeführt werden könne. Die Zinsschranke sei zwar laut Gesetzesbegründung als Missbrauchstypisierung anzusehen, es sei jedoch sowohl zweifelhaft, ob sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Missbrauchstypisierung entspräche, als auch, ob sie verhältnismäßig sei; bezüglich ihrer Erforderlichkeit zur Erreichung des angestrebten Zieles bestünden Zweifel.

Zwar erfasse die Zinsschranke (auch) Fälle von Gewinnverlagerungen, in denen das Besteuerungssubstrat im Inland gefährdet werde. Allerdings würden missbräuchliche Gestaltungen innerhalb der Freigrenze (1 Mio. Euro im Streitjahr; aktuell: 3 Mio. Euro) nicht erfasst werden, dafür jedoch marktübliche, sinnvolle und typischerweise nicht missbräuchliche Finanzierungsgestaltungen. Zur Vermeidung möglicher unionsrechtswidriger Diskriminierungen seien – obwohl dies unter Umständen gar nicht nötig gewesen wäre – auch reine Inlandssachverhalte erfasst worden, in denen jedoch gar kein Steuersubstrat verlagert werden könnte. Ferner erfasse die Zinsschranke gerade auch neu gegründete Unternehmen und Unternehmen in der Krise, obwohl dort keine Missbrauchsabsicht angenommen werden müsse.

Auch das Ziel der Stärkung der Eigenkapitalbasis könne keine Rechtfertigung sein. Einerseits gewähre Art. 2 Abs. 1 GG dem Unternehmer das Recht, selbst zwischen Eigen- und Fremdkapitalausstattung zu entscheiden. Überdies unterlägen z.B. eigenkapitalschwache stand-alone Gesellschaften oder eigenkapitalschwache Konzerngesellschaften, sofern ihre Eigenkapitalquote genauso gut (bzw. schwach) wie die des Konzerns wäre, nicht der Zinsschranke.

Auf mögliche Verstöße gegen die Eigentumsgarantie (Art. 14 GG) oder das Bestimmtheitsgebot komme es daher nicht mehr an.

Neben die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit müsse allerdings noch ein besonderes Aussetzungsinteresse treten. Dies sei der Fall, wenn das für eine AdV sprechende individuelle Interesse des Steuerpflichtigen gegenüber der einer AdV entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentlichen Haushaltsführung überwiege.

Vorliegend überwiege das Interesse des Steuerpflichtigen an der Aussetzung. Die vorliegende Substanzbesteuerung führe zwar nicht zu einer Existenzgefährdung oder zu einem irreparablen Nachteil für die Antragstellerin. Allerdings überwiege das Aussetzungsinteresse (trotzdem), wenn die Gefahren für die öffentliche Haushaltsführung vergleichsweise gering seien, was vorliegend – bei geschätzten jährlichen Mehreinnahmen von 697,5 Mio. Euro durch die Zinsschranke – der Fall sei. Dies gelte umso mehr, als die Freigrenze mittlerweile erhöht wurde, wodurch das Aufkommen und die Anzahl der betroffenen Unternehmen gesunken sein sollten.

Schließlich scheide die AdV nicht deshalb aus, weil davon auszugehen sei, dass eine Vorschrift nicht rückwirkend für nichtig erklärt werde. Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG müsse vorläufiger Rechtsschutz auch effektiv durchsetzbar sein und dürfe nicht deshalb leerlaufen, weil das BVerfG möglicherweise in einem Normenkontrollverfahren eine Weitergeltung verfassungswidriger Normen anordnen könne (vgl. BFH, Beschluss vom 21.11.2013).

Betroffene Norm

Art. 3 Abs. 1 GG, 4h EStG, § 8 Abs. 1 KStG, § 8a KStG
Streitjahr 2008

Anmerkungen

Abweichend vom BFH in der vorliegenden Entscheidung hatten das Finanzgericht Baden-Württemberg (Urteil v. 26.11.2012) und das Niedersächsische Finanzgericht (Urteil v. 11.07.2013) die Zinsschranke noch als verfassungskonform angesehen.

In einem Nichtanwendungserlass vom 13.11.2014 (siehe Deloitte Tax-News) zu dem vorliegenden Beschluss vertritt das BMF die Auffassung, dass die Regelung der Zinsschranke – entgegen der Ansicht des BFH – mit der Verfassung in Einklang stehe und AdV selbst bei Anhängigkeit eines Normenkontrollverfahrens beim BVerfG grundsätzlich nicht zu gewähren sei.

Mit Beschluss vom 14.10.2015 (I R 20/15, siehe Deloitte Tax-News) hat der BFH dem BVerfG nun die Frage vorgelegt, ob die Zinsschranke gemäß § 4h EStG i. V. mit § 8 Abs. 1 und § 8a KStG aufgrund eines Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verfassungswidrig ist.

 

Vorinstanz

Finanzgericht Münster, Beschluss vom 29.04.2013, 9 V 2400/12 K, siehe Deloitte Tax-News

Fundstelle

BFH, Beschluss vom 18.12.2013, I B 85/13

Weitere Fundstellen

BFH, Beschluss vom 14.10.2015, I R 20/15, siehe Deloitte Tax-News
BFH, Beschluss vom 21.11.2013, II B 46/13, siehe Deloitte Tax-News 
BMF, Schreiben vom 13.11.2014, IV C 2 - S 2742-a/07/10001 :009, siehe Deloitte Tax-News
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 11.07.2013, 6 K 226/11, Rev. anhängig: BFH I R 57/13, siehe Deloitte Tax-News  
Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.11.2012, 6 K 3390/11, aufgehoben durch: BFH, Urteil vom 12.08.2015, I R 2/13

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